KLIEMT.Arbeitsrecht verhindert Ausweitung des Streikrechts durch „wilde“ Streiks


Welche Reichweite hat das verfassungsmäßig garantierte Streikrecht? Diese Frage stellte sich in den Fällen dreier Lieferfahrer („Rider“) des Quick-Commerce-Unternehmens Gorillas (nunmehr Teil der Getir-Gruppe), welche im Oktober 2021 in Folge eines nicht gewerkschaftlich organisierten („wilden“) Streiks die Kündigung erhalten hatten. Nachdem sowohl das ArbG Berlin als auch das LAG Berlin-Brandenburg die Kündigungen für wirksam gehalten hatten, legten die Rider Rechtsmittel zum BAG ein. Diese Rechtsmittel wehrte KLIEMT.Arbeitsrecht erfolgreich ab. Die durch das Unternehmen erklärten Kündigungen wurden damit in letzter Instanz als rechtmäßig bestätigt (in zwei Fällen als fristlose Kündigung).

Im Oktober 2021 sah sich Gorillas mit Protesten einer Gruppe von Ridern konfrontiert, die sich als selbsternanntes „Gorillas Workers Collective“ formiert und im Wesentlichen über soziale Medien und Kurznachrichten organisiert hatten. Anstelle – wie bei Streiks üblich – eines organisierten Protestes innerhalb des verfassungsmäßig garantierten Rahmens kam es zu tumultartigen Szenen, in denen Arbeitnehmer u.a. die Arbeit unerlaubt niederlegten, den Zugang zu Filialen (Warehouses) blockierten und Lieferfahrräder auf den Kopf stellten. Das Unternehmen wehrte sich mit fristlosen Kündigungen gegenüber den aus seiner Sicht nachvollziehbar beteiligten Ridern, da es diese Verhaltensweisen als nicht vom Streikrecht gedeckt sah.

Schon in den instanzgerichtlichen Kündigungsschutzverfahren wurde die politische Dimension offenbar: Die Arbeitgeberseite (und ihr folgend, auch die Gerichte) vertrat stets, die Teilnahme an Streiks sei nur dann verfassungsmäßig geschützt, wenn der Streik von einer Gewerkschaft oder sonstigen Koalition getragen werde. Nicht aber erlaube das Streikrecht beharrliche Arbeitsverweigerungen nicht ansatzweise demokratisch strukturierter Arbeitnehmergruppierungen. Die Klägerseite argumentierte demgegenüber deutlich polemischer: Nicht nur wurde das deutsche System der Sozialpartnerschaft in Frage gestellt (das deutsche Streikrecht sei nicht mehr zeitgemäß), sondern die Arbeit stelle „moderne, durch Richterrecht legalisierte Sklaverei“ dar; es bestehe „eine faschistische Prägung der derzeitigen Rechtsprechung“.

Jenseits derartiger Dramatik stellte sich die dogmatische Frage, ob die Revidierte Europäische Sozialcharta (RESC) in Teil II Art. 6 Nr. 4 auch zulässige, nicht gewerkschaftlich organisierte Prozesse zulasse, so dass das deutsche Verständnis des Art. 9 Abs. 3 S. 1 GG zu revidieren wäre.

Das Arbeitsgericht und das Landesarbeitsgericht folgten der Argumentation der Arbeitgeberseite: Sie hielten in zwei Fällen, in denen eine Beteiligung an dem „wilden“ Protest nachweisbar war, eine außerordentliche Kündigung für gerechtfertigt; in einem dritten Fall, in dem die Streikbeteiligung des Arbeitnehmers während der Arbeitszeit weniger klar war, hielt es jedenfalls eine ordentliche Kündigung während der Wartezeit für angemessen. Die Gerichte stellten klar heraus, dass ein Streik nur auf ein kollektiv regelungsfähiges Ziel gerichtet sein kann – was die Existenz einer Koalition (typischerweise Gewerkschaft) oder zumindest eine Gruppierung mit einem Mindestmaß an mitgliedschaftlicher Organisation sowie eine Abstimmung über die Forderungen voraussetzt.

Gegen die Nichtzulassung der Revision in allen drei Fällen legten die Rider Nichtzulassungsbeschwerde beim Bundesarbeitsgericht (Az. 1 AZN 653/23, 1 AZN 655/23, 3 AZN 654/23) ein. Sie begründeten diese ausführlich mit angeblichen Verstößen gegen höherrangiges Recht sowie angeblichen Verfahrensfehlern. KLIEMT.Arbeitsrecht begegnete dem mit der Argumentation, dass die behaupteten Rechtsverletzungen schon nicht entscheidungserheblich gewesen seien, jedenfalls aber die deutsche Interpretation des Streikrechts im Einklang mit europäischem Recht stehe. Insbesondere sei eine lose organisierte Gruppierung, die sich ohne jegliche mitgliedschaftliche und demokratische Organisation über soziale Medien und Kurznachrichten austausche, nicht mit einer Koalition im Sinne des Grundgesetzes vergleichbar.

Das Bundesarbeitsgericht hat die Nichtzulassungsbeschwerde in zwei Fällen als unbegründet zurückgewiesen und in einem Fall als unzulässig verworfen und ist der Argumentation von KLIEMT.Arbeitsrecht vollumfänglich gefolgt.

Vertreter Getir/Gorillas in der Revisionsinstanz: KLIEMT.Arbeitsrecht, Dr. Till Heimann (Partner, Düsseldorf/Frankfurt, Federführung) und Jutta Heidisch (Senior Associate, Frankfurt).

 

Kurzprofil KLIEMT.Arbeitsrecht:

Mit rund 90 ausschließlich im Arbeitsrecht tätigen Rechtsanwälten ist KLIEMT.Arbeitsrecht die größte auf Arbeitsrecht spezialisierte Kanzlei in Deutschland. Die Kanzlei entstand 2002 als Spin-Off eines Teams um Prof. Dr. Michael Kliemt und Dr. Oliver Vollstädt aus dem Düsseldorf Büro von Clifford Chance. Mit Standorten in Düsseldorf, Frankfurt am Main, München, Berlin und Hamburg gilt die Kanzlei heute als einer der Marktführer im Arbeitsrecht. Mehr als die Hälfte der DAX-Konzerne, eine Vielzahl erfolgreicher deutscher Mittelständler und etliche weltweit tätige Konzerne vertrauen auf die arbeitsrechtliche Expertise von KLIEMT.Arbeitsrecht, genauso wie zahlreiche Start-Ups und Scale-Ups.

KLIEMT.Arbeitsrecht berät unter anderem bei der Umsetzung von Restrukturierungs- und Integrationsprojekten sowie bei tarifrechtlichen Aufgabenstellungen. Zu den weiteren Schwerpunkten gehören das Betriebsverfassungsrecht, die Betriebliche Altersversorgung, Arbeitnehmerüberlassung, ESG, Compliance und Datenschutz. Außerdem unterstützt die Kanzlei Unternehmen und Top-Führungskräfte in sämtlichen Fragen der Managerhaftung einschließlich der Übernahme der Prozessführung.

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